23.08.2020 - Georg Schobert, Dr. Andrea Hirmer und Nicole Karrer

15 Jahre Eltern-Coaching im IFW

Unser Elterncoaching ist die Essenz aus einem über zwanzigjährigen Lernprozess, in dem all unsere Erfahrungen, Erkenntnisse und Irrwege stecken.

Die Anfänge dieses Modells reichen annähernd zwanzig Jahre zurück – bis in die Konzeption der Weiterbildung „Systemische Elternarbeit“, die wir damals für Dienste und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe erarbeiteten. Ziel war es, Fachkräfte in diesem Feld für eine qualifizierte und systemisch ausgerichtete Zusammenarbeit mit Eltern von Kindern in der Jugendhilfe zu befähigen. Dass solche Hilfen zur Erziehung von Eltern oft unfreiwillig in Anspruch genommen werden mussten, war für uns eine besondere Herausforderung.

Im Vordergrund stand, wie wir es schaffen könnten, eine bessere Zusammenarbeit von Fachkräften mit Eltern zum Wohle der Kinder und Jugendlichen zu erreichen. Wir waren davon überzeugt, dass wir den Kindern am besten halfen, wenn wir ihre Eltern darin unterstützten, „bessere“ Eltern zu werden.

 

Eltern in ihren Nöten ernst nehmen

Dazu mussten wir sie ernst nehmen in ihren Belastungen und Nöten. Wir mussten mit der Arbeit da beginnen, wo Eltern in ihren Möglichkeiten und in ihrer Entwicklung in diesem Augenblick standen mit all ihrer Verzweiflung, Überforderung und Arroganz, ihrem Ärger und Zorn, ihrer Gewaltbereitschaft. In allem, was ihre elterliche Hilflosigkeit bedingte und aufrechterhielt.

Dabei stellten wir uns folgende Fragen:

  • Wie konnten wir einen besseren Kontakt zu den Eltern bekommen?
  • Wie erreichten wir es, dass sie uns als Verbündete wahrnahmen, und nicht als Kontroll- und Verurteilungsinstanz?
  • Wie konnten wir sie dafür interessieren, mit uns erreichbare Ziele zu formulieren?
  • Welche Rolle spielten dabei biographische Belastungen der Eltern und wie konnten wir diese berücksichtigen für die Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehungen?
  • Wie unterstützten wir die Eltern, dass sie in die Verantwortung als Vater und Mutter gehen konnten, auch wenn sie sich als Paar nicht mehr oder nicht immer verstanden?
  • Welche Unterstützung brauchten Eltern, wenn sie ihre eigene Hilflosigkeit im Umgang mit ihren Kindern immer wieder erlebten?

So starteten wir eine Weiterbildung, die die TeilnehmerInnen in ihrem Umgang mit belasteten Eltern und Kindern stärkte. In zehn Jahren bildeten wir über hundert Fachkräfte  der Kinder- und Jugendhilfe weiter und mit jedem Teilnehmer und jeder Teilnehmerin lernten wir dazu und verfeinerten unseren Ansatz.

Dabei wurde uns im Laufe der Jahre immer bewusster, welche enorme Gratwanderung wir von den Fachkräften der Jugendhilfe in der Zusammenarbeit mit Eltern verlangten. Die besondere Herausforderung bestand darin, die Eltern auf zwei Ebenen zu fordern und zu unterstützen: Wichtig war uns, sie zum einen in ihren eigenen Begrenzungen im Umgang mit ihren Kindern zu verstehen und ihre Auseinandersetzung mit ihren eigenen Themen zu fördern. Gleichzeitig sollten sie dies zunehmend für eine Verbesserung ihrer Erziehungskompetenz nutzbar machen.

Es wurde deutlich, wie wichtig es war, dass Eltern lernten, ihrem Kind einseitig und nachhaltig ein „neues“ Beziehungsangebot machen zu können.

Mit der Zeit lernten wir, dass dies von uns klare Positionierungen verlangte:

  • Was verstanden wir unter „besseren“ Eltern?
  • Wie bewerteten wir die Fortschritte der Eltern oder das Verharren in alten Mustern?
  • Wie wurden wir hier den Anforderungen der Jugendämter nach „Clearing“ und Einschätzung von Kindeswohlgefährdungen gerecht?
  • Wie konnten wir Eltern motivieren, mit uns gemeinsam neue Wege einzuschlagen, ihre Einstellungen und ihr Verhalten zu verändern?
  • Wie konnten wir den Eltern vermitteln, dass wir an ihrer Seite stehen?
  • Wie konnten wir Eltern darin unterstützen, eine klarere und kraftvollere Haltung zu entwickeln, die eine  eindeutigere Präsenz im Verhalten ermöglichte?

 

Elterncoaches in der eigenen Präsenz und Klarheit stärken

Wir erkannten, dass wir unsere TeilnehmerInnen in ihrer eigenen Präsenz und Klarheit stärken mussten und entwickelten dafür Übungsmöglichkeiten.

Sie konnten Eltern nur in die Kraft verhelfen, wenn sie selbst präsent und kraftvoll waren. Sie konnten Eltern nur dann in ihrer Leidensfähigkeit unterstützen, wenn sie selbst bereit waren, unvermeidbare Wiederholungsschleifen erfolglosen Bemühens mit den Eltern zu gehen. Sie müssten selbst bereit sein, mit Misserfolgen konstruktiv umzugehen, damit Eltern erfahren konnten, was wir mit Nachhaltigkeit meinten. Sie dienten so den Eltern als Modell und als Zugpferd.

So entstanden unsere ersten Ideen und Konzepte für Elterncoaching. Es war eine Essenz der Weiterbildung zur Systemischen Elternarbeit, mit dem Schwerpunkt, Eltern darin zu unterstützen,  ihre Kraft, ihre Präsenz und Selbstwirksamkeit zu verbessern.

Wir sahen auch, dass dies nicht nur über Einsichten und Wertewandlungen gelingen würde und wie sehr es dazu ebenso eine geeignete Körperlichkeit und  passenden sprachlichen Ausdruck braucht, um wirksam gelebt werden zu können. Viele Eltern erlebten die eigene Körperlichkeit als Bedrohung, im Kontext von Gewalt, Krankheit oder Dysfunktionalität. Körperliche Präsenz und Kraft nach erfolgreichen Kontextunterscheidungen auch als etwas Allgegenwärtiges, Positives und Brauchbares wahrzunehmen zu können und zu spüren, ermöglichte es, die Eltern darin zu unterstützen, die eigene Körperlichkeit als wichtige Ressource für einen besseren Umgang mit ihren Kindern zu erleben.

In den letzten Jahren integrierten wir relevante Forschungsergebnisse aus der neurobiologischen Gehirnforschung in unser Elterncoaching-Konzept.

Die Fragen, wie wir mit Eltern in belasteten Situationen arbeiten, und wie gestresste Eltern mit überforderten Kindern umgehen sollten, konnten wir damit  differenzierter stellen und präziser beantworten, weil wir mehr darüber wussten, wie das Gehirn unter Stress lernt und der Körper mit einem gestressten Gehirn funktioniert.

Ebenso wurde unser Wissen bereichert durch den fachlichen Diskurs mit ähnlichen und anderen Ideen und Formen von Eltern-Coaching dieser Zeit. Haim Omer, Arist von Schlippe, Karl -Heinz Pleyer, Wilhelm Rotthaus und Maria Aarts und viele andere haben uns dabei für unsere weitere Entwicklung inspiriert. Wir waren theoretisch und methodisch unbedingt auf der Höhe der Jahre 2005 – 2008.

 

In der praktischen Anwendung mit Eltern schien uns doch immer noch etwas zu fehlen. Wo und wie ließe sich unser Elterncoaching noch optimieren?

Von unserem eigenen Anspruch angetrieben, suchten wir weiter nach dem „fehlenden Baustein“. Was schränkte Eltern immer wieder in der Wahl ihres Verhalten zum Kind und in ihrer Entwicklung eines neuen Beziehungsangebotes an das Kind trotz besten Willen und Wissens ein? Ist es die stressbedingte körperliche Verfasstheit in der Situation?

Die Neurobiologie lieferte uns doch dazu bereits ein umfangreiches Wissen. Uns wurde immer deutlicher, wie wichtig beim Eltern-Coaching wirksame Affektregulation bei den Eltern geworden ist, auf die sie ohne fremde Hilfe im konflikthaften Erleben mit dem Kind zurückgreifen können. Kognitive Konzepte reichen für die Selbstregulation der Affekte nicht mehr aus, wenn sich der Körper gleichzeitig in einem zu hohen Erregungszustand befindet. Kann gelingende Körperregulation die benötigte Affektregulation ermöglichen?

Wir haben im Jahr 2015 Claudia Croos–Müller zu diesem Thema nach München eingeladen und in einem Workshop sehr von ihren Erfahrungen mit den von ihr entwickelten Body2Brain-Übungen für unsere Arbeit profitiert. Auch die Übungen von Julie Henderson haben sich als wirksam erwiesen. Wirksame Körperregulation begünstigt Affektregulation! Dieser Ansatz der Befähigung von Eltern macht unser Elterncoaching so erfolgreich und besonders.

Wunderbar zu unserer Arbeit passen auch Anregungen für „Elterliche Emotionsregulation als wichtiger Baustein gelingender kindlichen Entwicklung“ von U. Lux und J. Quehenberger, die von ihnen in einem Workshop im Rahmen der wissenschaftlichen Jahrestagung der DGSF 2016 vorgestellt wurden.

Neben den prozesshaften Ergänzungen der Bausteine im Eltern-Coaching für die Jugendhilfe, veränderten sich mit der Zeit auch die Zielgruppen. Längst  ist Eltern-Coaching auch  für Fachkräfte in Erziehungsberatungsstellen, Kindertagesstätten und  Schulen, für Therapeuten in der Kinder-und Jugendlichentherapie ein wichtiger Baustein in der Zusammenarbeit mit Eltern geworden.

Der Kreis für ein Erfolgsmodell hat sich erweitert und geschlossen.

Elterncoaching heißt für uns heute, dass wir nach einem zwanzig jährigen Lernprozess ein Format anbieten, in dem unsere Erfahrungen, unsere Erkenntnisse und Irrwege berücksichtigt sind. Und wir sind bereit, auch weiterhin zu lernen!


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