Weihnachtszeit ist die Stade Zeit

Für mich bringt der Schnee die stade Zeit mit, wenn er das Land unter seiner weiß glitzernden schallschluckenden Pulverdecke bedeckt. Ich liebe es, alleine früh am Morgen auf frisch beschneiten Wegen mit knirschenden Schritten zu laufen. Der  Wind weht hier und da einzelne Kristalle von den Bäumen und Sträuchern, mein Atem bildet in der kalten Luft kleine Wolken. Dann erinnere ich mich an Bratapfelduft und lächle ich still und dankbar in mich hinein.

Die gesungene Stille Nacht – heute meist  in der Kinder-Christmette – ist für mich der Glanzpunkt der staden Zeit. Ein friedvoller Moment am Ende eines wieder mal turbulenten Jahres.

Stade Zeit ist für mich vom 1. Advent bis Heilgdreikönig. Ich sitze in der Küche, trinke eine große Tasse Kaffee, es ist ganz ruhig, keine Termine an diesem Tag. Ganz, ganz weihnachtskitschig (ich liebe es so richtig „barock“ an Weihnachten): Kerze brennt am Adventskranz, Holz knackt im Kachelofen. Niemand spricht. Nur meine beiden Jungs sind da.

Für mich beginnt die stade Zeit meist still und heimlich bereits um die Zeitumstellung. Manchmal wenn ich abends in den vielleicht schon verschneiten Garten schaue und es an vielen Stellen leuchtet und glitzert, wenn drinnen der Kamin eine wohlige Wärme verbreitet und die Kinder schon schlafen, gibt es auch bei mir mal ruhige Momente und es wird für einen Augenblick wunderbar still.

Das Ende der staden Zeit zelebrieren wir Allgäuer übrigens immer mit einem Funkenfeuer am Sonntag nach Fasching. Dazu laden wir in unseren Garten Freunde ein und treiben mit fünf Feuern den Winter aus. Anschließend werden all die Sterne und Lichter des Gartens bis zum nächsten Winter eingemottet.

Ein Moment der Stille bedeutet für mich, Gefühle von Dankbarkeit in mir aufsteigen zu lassen – für die vielen nährenden und inspirierenden Verbindungen zu Freunden und Familie – für das Privileg, eine sinnvolle Arbeit machen zu dürfen – für einen gesunden Körper – für die kostbare Möglichkeit, meditieren zu können.

Mich daran zu erinnern – gerade in diesen turbulenten Zeiten – gibt mir tiefe innere Ruhe und Gelassenheit.

Der kürzeste und dunkelste Tag im Jahr ist vermeintlich ein unfreundlicher Tag. Ich verbringe diesen Tag gerne draußen in der Kälte und in diesem besonderen Sonnenlicht, der besonderen Ruhe der Natur.

Wenn dann die Dunkelheit einkehrt, kommt gleichzeitig die Gewissheit: das Licht kommt zurück und wird mehr. Langsam und beständig. Schritt für Schritt.

Auf meiner Heimatinsel Paros habe ich mich zusammen mit meinen beiden Kindern in einer mondfreien Nacht auf einen vom Tag noch warmen Felsen gelegt, um den funkelnden Sternenhimmel zu beobachten. In Stille miteinander und mit allem verbunden, haben wir unser Kleinsein realisiert und gleichzeitig wahrgenommen, wie reich beschenkt wir sind, diesen Moment zusammen (er-)leben zu dürfen.

Ich kann es inzwischen durchaus genießen, wenn es mal ruhig ist und ich alleine bin. Wenn sich mir die Gelegenheit bietet, einfach mal Löcher in die Luft zu gucken. Erst vor kurzem habe ich erfahren, dass der bayerische Schwabe dafür ganz offiziell die Bezeichnung „Bled Schaun“ verwendet. Ich glaube, das liegt daran, dass es einem in dem Zustand ganz egal ist, wie man auf andere wirkt.

Letzten Sonntag bei meinem Spaziergang im Wald dachte ich mir: Stille beginnt dann, wenn ich anfange, das was mich gerade beschäftigt, einfach gut sein zu lassen. D.h. meine durcheinanderplappernden Gedanken im Kopf liebevoll zu stoppen indem ich sage: Danke für Eure Beiträge, nur jetzt ist es genug. Gebt Ruhe. Es gut sein zu lassen beinhaltet für mich auch, das was gerade ist, zu akzeptieren und auch das Gute daran zu sehen.

Manchmal stelle ich mich im Wald mittig in eine Baumgruppe und stelle mir vor, ein Teil davon zu sein. Ein Baum mit Wurzeln in der Erde, der sich weit nach oben streckt. Es gibt nichts zu tun, als zu wachsen und sich dem immer wieder wandelnden Jahreslauf – mit allem was er mitbringt – anzupassen. Atmen. Still. Sein.

Meiner liebster Moment der Stille: Im Winter – auf dem Berg – abends – die Skifahrer wieder im Tal – tiefer Schnee, der alle(s) Laute verschluckt – alles stad und Hannes fein.

Christmette: Glockenläuten, Dunkelheit, Kerzenschein und alle singen zusammen „Stille Nacht“. Und: gemeinsam mit der Familie um den Weihnachtsbaum sitzen, abends, die Lieder sind gesungen, wir schauen schweigend den Kerzen beim herunter brennen zu, wohlige Geborgenheit und tiefe Dankbarkeit. Auch für die Hoffnung, die wir Christen haben. 

Ein Moment der Stille für mich entsteht am schönsten auf einem einsamen Berggipfel, in einem schönen Stückchen Natur, Wald … Diesen Moment der Stille auch in der manchmal gar nicht so stadn Zeit zu suchen und zu finden, ist manchmal eine Kunst und wirkt gleichzeitig in diesen Wochen umso intensiver.

Stade Zeit ist für mich, wenn die Pflanzen ruhen, warm eingepackt sind vom Laub und die Gräser sich im kalten Wind bewegen.

Es gibt grad nichts zu tun für mich, nur staunen und freuen über diesen schönen Platz, der im Frühling wieder erwacht. So verbringe ich auch die Weihnachtstage: warm eingepackt und ausruhend von den Aktivitäten des Jahres.

Als Kind und Jugendlichen waren die Worte „Sei stad“, wenn sie mir, meist von Erwachsenen anbefohlen wurden, das Verbot, meine Lebendigkeit zu zeigen.

Heute ist mir „Stille“ eine sehr geschätzte Wegbegleiterin im Umgang mit mir und anderen Menschen geworden. Sie ermöglicht mir, besonders in stressigen Situationen „bei mir“  zu bleiben. Dadurch können mein Denken und mein Fühlen besser zu meinem Besten zusammen wirken. Stille begünstigt  Stimmigkeit im Denken, Fühlen und Verhalten. Dadurch wird das Leben schöner.

Für mich sind die Rauhnächte immer eine besondere Zeit, seit ich seit einigen Jahren jeden Tag meditiere, das Jahr Revue passieren lasse und mir überlege, was ich ins neue Jahr mitnehmen möchte und was ich im alten Jahr zurücklasse. Mittlerweile mache ich diese Meditationen immer auf einer Bank direkt bei uns am Inn – manchmal auch während des Jahres –  und in den allermeisten Fällen erscheint dort auch „mein Reiher“. Er kommt natürlich nicht wegen mir, sondern er wohnt dort, aber jedesmal, wenn ich ihn tatsächlich vor mir sehe, breitet sich eine unglaubliche Ruhe in mir aus – ein Gefühl von „Alles ist genauso, wie es sein soll!“ 

Momente intensiver Stille erlebe ich am liebsten in der Wüste, wie z.B. in der Kalahari oder bei verschiedenen Gelegenheiten in den Alpen, wie z.B. bei Wanderungen, Klettersteigen oder sonstigen Kraxeleien mit möglichst wenig Mensch und viel Natur und Sicht um mich herum.

Da es mir in meinem Alltag nicht so oft möglich ist, in der Wüste oder in den Bergen zu sein, habe ich mir auf meiner Terrasse ein unsichtbares Portal eingerichtet, was es mir ermöglicht, meinen Blick nach Innen zu richten und die Stille oder auch die einzelnen Geräusche meiner Umgebung ganz bewusst wahrzunehmen. Hier kann ich, wenn ich möchte, ganz leicht, Kontakt zu der einen oder anderen Erinnerung oder Erfahrung aufnehmen oder einfach nur sein. Das Wetter lasse ich mir dann auf meiner Terrasse herzlich egal sein.  

Ich liebe diese staade Zeit mit Kachelofen, drinnen sein, bei sich nach innen schauen und es sich wohlig machen. Platz für Ruhe und Zeit für mich, für ein gutes Buch und meine Geige. Diese Zeit ist eine große Energie-Tankstelle für mich! Und noch mehr, wenn’s draußen schneit! 

Wenn ich mit meinem Motorrad unterwegs bin, geschützt durch meinen Anzug und Helm, fühle ich mich frei und zentriert. Ich bin eins mit mir und der Landschaft. Nichts im Außen ist mehr wichtig und ich spüre eine tiefe, stille Zufriedenheit.