22.10.2020 - Boris Gebhard

Weshalb ist die systemische Familienhilfe so wirksam?

Der systemische Ansatz hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Jugend- und Familienhilfe etabliert und ist aktuell nicht mehr wegzudenken.

Zum einen ist die systemische Grundhaltung, die geprägt ist von der Würdigung des bisher Geleisteten, ein wichtiger Türöffner, wenn es um den Aufbau von Vertrauen und einer gemeinsamen Arbeitsbasis geht.  

Achtung vor der Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen und jeder Familie, Respekt vor deren ungewöhnlichen Lösungsansätzen, Glaube an verschüttete Potentiale und bestehende Ressourcen sowie Mitgefühl und Solidarität helfen Familien, sich auf ihre vorhandenen Stärken zu konzentrieren und ihre eigenen Lösungswege zu finden. Gerade in Zeiten, wo es zunächst nur darum geht, Leiden zu begleiten, bevor nach neuen Wegen gesucht werden kann.  

Das Wahrnehmen der einzelnen Familienmitglieder als Experten ihrer Familiengeschichte bestärkt sie und verringert Widerstände. Denn möglicherweise hat  die Familie bereits mehrfach erlebt, dass „Experten von außen“ besser wussten, was für sie gut und richtig ist.

Zum anderen entlastet die systemische Arbeit die einzelnen Familienmitglieder, weil deren Auffälligkeiten und Störungen als Symptome verstanden werden. Im  jeweiligen Kontext gesehen können sie hilfreiche und sinnstiftende Lösungsversuche sein, die das Überleben sichern oder einmal gesichert haben.

Nicht ein Individuum wird allein für alles verantwortlich gemacht, sondern es werden die sich im Laufe der Zeit entwickelten Beziehungsmuster der Familie betrachtet und wie sich die Systemmitglieder gegenseitig bedingen.  

Professionelle Fachkräfte stehen der Familie in neutraler Haltung und Allparteilichkeit gegenüber, um nicht durch die Koalitionen mit einem Familienmitglied Widerstände auf der anderen Seite zu provozieren.

 

Eine Weiterbildung in Systemischer Beratung ist für Fachkräfte besonders hilfreich, da sie sich im Zuge dessen mit den Themen aus ihrer eigenen familiären Herkunftsgeschichte auseinandersetzen, sich idealerweise mit ihren Eltern versöhnen, ihre Haltung zu Männern und Frauen, Kindern und Jugendlichen klären.

Je bewusster ich mir meine  wunden Punkte und meine mitgebrachten Prägungen gemacht habe, desto eher fällt mir auf, wo ich meine Klienten an meinen eigenen Themen und Werten messe, sie damit konfrontiere und so meine professionelle Haltung verliere und weniger hilfreich sein kann.

In einer fundierten systemischen Haltung bin ich in meiner Wahrnehmung sensibilisiert und ich nutze meine Erfahrungen für meine professionelle Rolle. So geschult erkenne ich Dynamiken, Rollen, Regeln und Strukturen von Familiensystemen und ich stimme meine Interventionen und Methoden zielgerichtet darauf ab.

Gerade auch Kinder und Jugendliche profitieren meiner Erfahrung nach von einer ressourcenorientierten, zugewandten und bestärkenden Arbeit, die ihnen signalisiert, dass sie in Ordnung sind, so wie sie sind und alle Fähigkeiten bereits haben, um sich aus der Belastung heraus zu entwickeln und in die Veränderung zu gehen. Erleben sie doch meist in ihren jeweiligen Lebenswelten eher defizitorientierte Haltungen. Eine echte Unterstützung findet konsequent auf Augenhöhe statt und braucht eine große Offenheit für die Lösungen und Wege der Klienten.

In der Weiterbildung Systemisches Arbeiten mit Kindern und/oder Jugendlichen geben wir speziell den Kindern und Jugendlichen eine Stimme und stellen uns als Therapeuten an ihre Seite. Es geht um das Bewusstmachen der Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen und wie unsere Haltung als Therapeut/in ihre Identitätsentwicklung begünstigen kann.      

 

Das Schönste aus meiner Sicht als Fachkraft?

Selbst auf den ersten Blick schwere Themen mit scheinbar undurchschaubaren Mustern und Verwicklungen lassen sich auf eine humorvolle, bisweilen leichte Art und Weise betrachten und bearbeiten. Gelingt es, das Vertrauen der Familie zu gewinnen und in der Familie die vorhandenen Energien in Richtung ihrer Lösungen zu lenken, kann das eine entspannte, lustige und sehr sinnstiftende Arbeit sein, gerade was eine gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen angeht.

 

Welche Aufträge hat eine systemische Familienhilfe?

Da sich viele Familien die Jugendhilfeleistung nicht leisten können oder wollen wird sie von den Jugendämtern finanziert. So entsteht ein Auftragsdreieck. Als Geldgeber hat das Jugendamt den Auftrag, den Schutz und eine gesunden Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten. Diese Aufgabe geben sie an den Jugendhilfeträger in Person einer oder zweier Fachkräfte weiter. 

Die vom Hilfeempfänger formulierten Aufträge können sich bisweilen sehr von denen des Geldgebers unterscheiden. Aus der festen Überzeugung heraus, dass wir nur uns selbst verändern können oder unseren Umgang mit unveränderbaren Bedingungen, geht es darum, die eigenmotivierten Aufträge mit der Familie herauszuarbeiten. Nur wenn es für den Klienten attraktiv ist, wird eine Veränderung möglich sein.

Ein Merkmal professioneller Hilfebeginne in Jugendämtern kann ein gemeinsamer Start mit den systemischen Fachkräften und der Familie sein, in denen sich von Beginn an die Auftragsgestaltung an den Aufträgen der Familie orientiert. Hier sind die Fachkräfte Auftragnehmer.

Klassische Überschriften für Aufträge einer systemischen Familienhilfe können sein:

  • Verbesserung der familiären Kommunikations- und Beziehungsstrukturen
  • Stärkung des Selbstwertgefühls der gesamten Familie
  • Aktivierung und Stärkung der elterlichen Verantwortung
  • Förderung von Persönlichkeitsentwicklung und der familiären sozialen Bezüge
  • Wiederherstellung von funktionierenden Generationsgrenzen
  • Entwicklung von individuellen Lösungsstrategien
  • Familiäre Perspektivenklärung
  • Erkennen und Verändern von familiären Mustern

Im Jugendhilfesystem finden viele Familien Unterstützung, in denen sich die Eltern gerade trennen oder getrennt leben. Kinder und Jugendliche zeigen oft über Symptome oder ein „irgendwie-geartetes“ Nichtfunktionieren auf, dass etwas nicht stimmt und sie oder ihre Familie Hilfe benötigen. Dahinter stecken oft unausgesprochene Konflikte auf der Paar- oder Elternebene, psychische Beeinträchtigungen eines oder beider Elternteile oder Thematiken aus den jeweiligen Herkunftsfamilien der Erwachsenen, kulturelle oder soziale Unterschiede und viele andere Facetten mehr.

Die positive, zugewandte, wertschätzende und stets Hoffnung habende Grundhaltung und das konsequente, ressourcenorientierte, zutrauende, die eigene Wirksamkeit und Verantwortung bestärkende Arbeiten zeichnen den systemischen Ansatz aus machen ihn so wirksam.

 

 


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