Uli Holtz über Coaching als Expertise für Führungskräfte: „Techniken sind letztlich Handwerk und erst in Kombination mit einer entsprechenden Haltung wirkungsvoll.“
IFW: Welche Kernkompetenzen sind must-haves für Führungskräfte?
Uli Holtz: Entscheidend ist für mich eine gewisse innere Haltung. Damit meine ich eine konsequente Einstellung, bei der ich meine Rolle als Führungskraft annehme und mich entsprechend meiner Regeln und Werte verhalte.
Führungskräfte, die sich schwammig verhalten und keine Grenzen ziehen, werden unberechenbar. Es geht nicht, dass Kollegen vom Vorgesetzten unterschiedlich behandelt werden oder dass Mitarbeiter abchecken müssen, ob „der Chef“ heute einen guten Tag hat oder ob sie mit gewissen Fragen lieber auf einen besseren Zeitpunkt warten. Das heißt nicht, dass man jeden Tag immer in der gleichen guten Stimmung sein sollte, das wird ohnehin nicht passieren.
Die Kompetenz, mit Konflikten umzugehen, ist für mich unerlässlich. Ich habe viele Leute in Leitungspositionen erlebt, die Angst vor Auseinandersetzungen hatten und im Zweifel lieber eine Zusage gemacht oder nachgegeben haben. Das halte ich für wenig zielführend.
Zudem erwarte ich von einer Führungskraft, dass sie Entscheidungen trifft, sie implementiert und die Umsetzung überprüft.
Ganz wichtig ist auch der angemessene Umgang mit den Mitarbeitern. Es gibt viele Situationen, in denen eine Führungskraft sehr respektvoll mit dem, was ein Mitarbeiter gerade erfährt oder was er gerade erlebt – sowohl im Job als auch persönlich – umgehen muss.
Worin liegt der größte Entwicklungsbedarf bei Führungskräften?
Gerade wenn es um Entscheidungen und Konflikte geht, brauchen Vorgesetzte oft Unterstützung. Verständlich, denn wer streitet schon gerne? Tendenziell leben wir alle lieber in Harmonie, Geborgenheit und gegenseitiger Zufriedenheit. Die wenigsten Leute haben Erfahrungen und Handwerkszeug, um sich in Konfliktsituationen konstruktiv verhalten zu können. Eine gute Führungskraft muss sich dem stellen, die Themen in die Hand nehmen und sie regeln.
Was hat sich in Sachen Führungskompetenz in den letzten zehn Jahren geändert?
Zum einen ist der Anspruch der Mitarbeiter gestiegen, gut geführt zu werden. Es gibt Firmen, die ihren Leitungskreis schon seit langer Zeit in diesen Themen gut ausbilden und das spricht sich auf dem Markt herum und wird im Internet auf entsprechenden Plattformen gepostet. Auch mit Freunden und Bekannten tauscht man sich über Führungsqualitäten in den unterschiedlichen Firmen aus. Der Anspruch an eine Führungskraft, diesbezüglich mehr zu leisten, ist permanent gestiegen.
Viele Firmen haben den Zusammenhang zwischen guter Führung und Erfolg erkannt, gerade in den Bereichen, in denen man auch von der Konkurrenz gesuchte Spezialisten beschäftigt und versucht, einfach die Besten auf dem Markt zu bekommen und zu halten. Diese Mitarbeiter lassen es sich nicht bieten, schlecht geführt zu werden.
Hat eine Führungskraft mit Coaching-Expertise entscheidende Vorteile im Umgang mit Mitarbeitern, Kunden und Kollegen?
Die Coaching-Expertise erlaubt mir zum Beispiel viel bewusster mit Konflikten umzugehen. Sie sensibilisiert für das, was die Mitarbeiter bewegt. Wertschätzung sowie die grundsätzliche Achtung vor dem, was jemand geleistet hat, beeinflusst das Klima in der Abteilung. Die Coaching Erfahrung erleichtert einfach meinen Führungsalltag.
Wann macht eine Weiterbildung Sinn?
Ich glaube, wenn jemand beginnt, Mitarbeiterverantwortung zu übernehmen und wenn er weiß, dass er dauerhaft Mitarbeiterverantwortung in seinem Berufsleben haben wird, ist der Zeitpunkt optimal. Gerade dann sind entsprechende Inputs absolut relevant und interessant.
Was brauche ich, um Top-Manager zu coachen?
Ich werde auf Augenhöhe akzeptiert, wenn ich mit meiner Persönlichkeit, meiner Vita und meinen Kenntnissen glaubwürdig bin. Nach meiner Erfahrung hängt die Akzeptanz eines Top-Managers letztlich stark damit zusammen, dass ich selbst lange Jahre als Führungskraft erfolgreich tätig war. Ich kenne die Situationen, die diese Topmanager heute erleben und kann dann wirklich nachvollziehen, wo bei ihnen die Schmerzen liegen.
In den oberen Hierarchieebenen sind die Leute oft einsam, sie haben wenige Kollegen oder Partner, mit denen sie sich z.B. über Führungsfragen unterhalten und austauschen können. Da habe ich als Coach teilweise auch die Rolle des Sparringspartners für viele Themen.
Wird von einem Chef erwartet, dass er seine Gefühle im Griff hat?
Ich sollte mich als Führungskraft auf der einen Seite unter Kontrolle haben und auf der anderen Seite authentisch sein. Ein Choleriker, der permanent ausflippt und sagt, „Naja, gerade zeige ich halt meine Gefühle!“, ist weder gut in der Zusammenarbeit noch im Zusammenleben. Auf der anderen Seite kann ich, wenn ich wirklich sauer bin, nicht so tun als wäre alles ok.
Wie bewahre ich in hoch emotionalen Situationen oder bei unvorhergesehenen Konflikten die eigene Souveränität?
Gerade in hitzigen Situationen rate ich, in eine gute Distanz zu gehen und das Tempo rauszunehmen. Es hilft, wenn ich bestimmte Dinge, die mir auffallen, wertschätzend markiere und zusammenfasse. Und dazu unsere typisch systemischen Überlegungen: Was ist da? Was sehe und was spüre ich und wichtig auch – was fehlt? Alle Techniken sind letztlich Handwerk und immer erst in Kombination mit einer entsprechenden inneren Haltung wirkungsvoll.
Kommt es einer Führungskraft zu Gute, Situationen von außen zu betrachten, so wie ein Coach das tut?
Unbedingt. Auch das ist ein gutes Beispiel für Coaching als Expertise für Führungskräfte. In der Haltung eines Coaches agiere ich insgesamt viel gelassener und puste nicht einfach nur eine spontane Reaktion raus, die mir hinterher vielleicht leid tut. Wenn mir das häufiger passiert, werde ich als Führungskraft bald nicht mehr ernst genommen.
Du hast die Weiterbildung Systemisches Coaching vor geraumer Zeit bei uns im IFW absolviert. Wie geht es Dir, wenn Du mit etwas Abstand daran zurück denkst?
Anfangs habe ich mich schon gefragt, was mir die Weiterbildung bringen soll, weil ich als Personalleiter und Führungskraft schon sehr oft Leute in schwierigen Situationen gecoacht habe. Mir wurde sehr schnell klar: Es geht in der Weiterbildung stark um Selbstreflektion.
Gerade in dieser Business-Welt, wo man getrieben ist und permanent von außen neue Fragen und Anforderungen gestellt werden, hilft es sehr, Abstand zu gewinnen und über sich selber nachzudenken. Darüber, wo ich gerade stehe, was ich gut gemacht habe, was ich anders hätte machen können und welche Auswirkungen es darauf hat, was ich in der Zukunft machen möchte. Dieses „Herausnehmen aus der Situation“ hat mir persönlich sehr gut getan. Es hat mir auch gezeigt, wie wichtig es für meine Arbeit als Coach ist, dass ich ein gutes Verständnis von meiner Person und von der Entwicklung meiner Person habe.
Im geschützten Raum, der entsteht, wenn über zwei Jahre mit einer festen Gruppe gearbeitet wird, wächst ein Vertrauensverhältnis, in dem es leicht fällt, sich zu öffnen und sich zu zeigen. So war es möglich, dass die Teilnehmer sich gegenseitig sehr tiefe Einblicke in ihre persönliche Situation und Geschichte erlaubten. Das zu erleben fand ich sehr beeindruckend.
Direkt nach dem ersten Seminar hatten wir sehr unterschiedliche Gesichter von uns gesehen, Hürden waren abgebaut und jeder hat sich nochmal anders offenbart, als man das aus klassischen Trainings kannte. Würden sich die Teilnehmergruppen immer wieder neu zusammensetzen, wäre der Prozess aufgrund der ständigen Selbstpositionierungen definitiv oberflächlicher.
Der Umgang der Trainer mit den Teilnehmern, wenn sie an tief berührende Themen kamen, war so respektvoll und wertschätzend, da habe ich allein durchs Zuschauen enorm viel gelernt. Oft habe ich mir nach solchen Lehrbeispielen überlegt, wie ich selbst in der Vergangenheit anders hätte reagieren können. Das hat mir persönlich sehr viel gebracht und es war für meine eigene Tätigkeit sehr inspirierend.
Im Alltag als Personalleiter, wenn man in eine Situation reingezogen wurde und dann schnell mal eine Lösung finden oder etwas klären sollte, war häufig gar nicht die Zeit dazu, nach genaueren Hintergründen zu fragen, weil einfach schon wieder drei andere Probleme vor der Tür standen. Da sagt man dann schnell mal, jemand soll sich nicht so anstellen, wir haben alle unsere Themen und Probleme. Durch die neuen Anregungen habe ich angefangen, eine Situation zu analysieren und ein Gesamtbild zu zeichnen, um letztlich eine dauerhafte Veränderung einzuleiten. Das war für mich nochmal viel tiefgründiger, als das, was im schnellen Alltag passiert.
Und das ist es, was ich als Coach heute auch mache. Beim Einzeltermin wird einer Person mehr Zeit eingeräumt und ich möchte diese auch sinnvoll nutzen, so dass sich auch ein nachhaltiger Effekt einstellt.
D.h., wenn ich im beruflichen Alltag so viele Aufgaben habe, die so unterschiedliche Dinge von mir fordern, dass ich nicht die Zeit habe, gleichzeitig meine Mitarbeiter intensiv zu coachen, muss ich mir Gedanken machen, wer diesen Part übernehmen kann.
Manche Probleme erledigt man nicht eben mal so in einer ½ Stunde bei einer Tasse Kaffee. Oft kann ein Externer dem Thema einen angemessenen Zeitrahmen geben. Coaching hat für mich somit eine neue Bedeutung und Notwendigkeit im beruflichen Alltag bekommen, ohne dass ich als Vorgesetzter meine Führungsrolle abgebe oder versuche, sie von anderen erledigen zu lassen. Das wäre für mich nicht zulässig.
Die Praxisrelevanz ist uns im IFW besonders wichtig. Im Laufe der Zeit bearbeiten die Teilnehmer bis zu 80 Business Cases in denen sie lernen, mit einzelnen Personen aber auch mit Teams zu arbeiten. Welche Methode schätzt Du besonders?
„Feedback geben“ ist ein ganz hervorragendes Tool, das ich im Coaching von Teams schon häufig eingesetzt habe. Es ist so einfach und doch so wirkungsvoll.
Vor allem wenn sich die Betroffenen schwer taten, sich zu äußern, hat es oft schon gereicht, sich unter Anleitung gegenseitig nach Regeln Feedback zu geben. Die Reaktionen waren überraschend. Oft habe ich Sätze gehört wie: „Jetzt verstehe ich zum ersten Mal, was Du mir sagst. Zum ersten Mal wird mir klar, was Dein Problem mit mir ist.“.
Das Interessante ist, dass es die meisten von uns nicht mehr gewohnt sind, auf ehrliche Weise miteinander zu kommunizieren. Das hat was mit dem Erwachsensein zu tun und mit den bereits gemachten negativen Erfahrungen, wenn jemand offen, frei und ungefiltert geredet hat.
Oft überwiegt die Unsicherheit, wenn jemand nicht abschätzen kann, ob die Situation in einem unerwünschten Konflikt endet. Und er weiß auch nicht, ob er verstanden wird oder ihm hinterher gesagt wird, er wäre negativ, respektlos oder zu offen. Wir haben gelernt, Themen nett zu verpacken oder nur die Hälfte zu sagen. Genau das, was vielleicht wichtig wäre, mal jemandem in aller Deutlichkeit zu sagen, behält man für sich. Und jedes Mal ärgert man sich von neuem darüber, dass der andere sich nicht anders verhält, obwohl ich es ihm schon zigmal angedeutet habe. Aber ich habe es eben nicht so gesagt, dass es ihn auch erreicht hat oder so, dass er es akzeptieren konnte.
Durch das Feedback-Tool kann natürlich auch das Hören geschult werden. Weil das Gehörte dann ganz klar als Feedback positioniert wird, das jemand auf sich wirken lassen kann und mit dem er sich erst einmal beschäftigt, ohne es gleich zu zerpflücken und zu zerreden. Der Sinn der Sache ist zuzuhören, was der andere mir Sagen will und wie er empfindet. Im Nachgang können immer noch Verständnisfragen zur Klärung beitragen.
Am Anfang braucht es den Coach als Moderator, weil die Leute lernen müssen, mit dem Tool umzugehen. Und dann kann sich das in einer Firma sehr stark verselbständigen.
Der DGSF-Vorsitzende Dr. Hermanns hat kürzlich darauf hingewiesen, dass Coaches für nachhaltigen Erfolg vor allem personale Kompetenzen und Erfahrung im Umgang mit Beziehungsprozessen brauchen. Ein paar schnell erlernte Tools reichen da nicht aus. Eine kürzere und komprimiertere Ausbildung ginge demnach auf Kosten der Professionalisierung?
Also ich habe die zwei Jahre Weiterbildung als eine sinnvolle Zeit empfunden. Weil ich mich währenddessen immer wieder neu mit den Themen beschäftigt und mich immer wieder anders darauf eingelassen habe. Das hat einen anderen Effekt, als wenn ich die Ausbildung in einem halben Jahr absolvieren würde.
Letztlich ist die Weiterbildung das beste Führungskräftetraining, das ich kenne. Natürlich sehr intensiv, aber das ist es wert.
Uli Holtz arbeitet als selbstständiger Coach und leitet als Partner bei Jack Russel Consulting seit 2012 die Bereiche HR Advisory, Executive Coaching, Management Diagnostics. Er war über 20 Jahre u.a. in unterschiedlichen HR-Funktionen für den Softwarekonzern Microsoft tätig. Zuletzt verantwortete er als General Manager HR alle Personalbereiche des US-Unternehmens außerhalb von Nordamerika. Weiterbildungen Systemisches Coaching und Systemische Therapie im IFW.