Susanne Dahncke: „Die Familie ist die größte Ressource des Unternehmens und gleichzeitig die größte Gefahr.“ Coaching mit Familienunternehmen.
Was bedeutet es für einen Coach, mit Familienunternehmern zu arbeiten?
Susanne Dahncke: Wenn Du in der freien Wirtschaft als Coach tätig bist, begegnen Dir in der Regel immer wieder Familienunternehmen. Die allermeisten Business-Coaches, die ich kenne, befähigen den Unternehmer dazu, am Unternehmen zu arbeiten und initiieren genau an dieser Stelle Veränderungsprozesse. Jedem Coach sollte jedoch bewusst sein, dass hinter fast allen Unternehmern eine Familie steht, die auf seine Entscheidungen intensiv Einfluss nimmt. Sei es, weil die Familienmitglieder selbst aktiv im Unternehmen sind, als Gesellschafter fungieren oder in der Zukunft als Nachfolger vorgesehen sind. Der Coach hat es also mit einer besonderen Unternehmensform zu tun, die spezielle Kenntnisse und Interventionsmethoden erfordert.
Worin siehst Du die Besonderheiten von Familienunternehmen bzw. Unternehmerfamilien?
Das wesentliche Merkmal dieser Unternehmensform ist die enge Verbindung der drei sozialen Systeme Familie, Unternehmen und Eigentum – drei Systeme mit sehr unterschiedlichen Spielregeln für den Umgang miteinander. Familie und Unternehmen sind voneinander abhängig und geben sich positive wie negative Impulse. Die Familie ist dabei die größte Ressource des Unter-nehmens und gleichzeitig die größte Gefahr. Die Führung eines Familienunternehmens erfordert den bewussten Umgang damit.
Welche Chance haben inhabergeführte Unternehmen im Vergleich zu anderen Firmen?
Familienunternehmen sind dann besonders erfolgreich, wenn es ihnen gelingt, die Familie aktiv in Handlungen und Entscheidungen einzubinden und den persönlichen und finanziellen Einfluss auf das Unternehmen systematisch zu strukturieren. Dies führt dann zu echten Wettbewerbsvorteilen.
Und woran können Familienunternehmen scheitern?
Wenn der negative Einfluss überwiegt, stellt die Familie eine ernsthafte Gefahr dar: Familienkrisen werden im Unternehmen ausgetragen, die Beschäftigung mit den Konflikten und Beziehungen innerhalb der Verwandtschaft lenkt von den geschäftlichen Aktivitäten ab und führt zu verringerter Produktivität. Die Familie schottet sich ab. Transparenz und Controlling werden vermieden, um unter allen Umständen den Einblick von außen auf Internas und das Familienvermögen zu unterbinden.
Je größer die Unternehmerfamilie ab der dritten Generation ist, desto komplexer wird die Steuerung von Familie und Unternehmen. Gerade wenn Familienmitglieder sich in unterschiedlichen Lebensphasen befinden, stellen konkurrierende Interessen das Unternehmen vor große Herausforderungen.
In Familien wird das gemeinsame Leben sehr eng und intim miteinander vollzogen. Es gibt hohe emotionale Bindungen – „Blut ist dicker als Wasser“. Hier werden die intensivsten positiven Emotionen erfahren, gleichzeitig tragen Familienmitglieder untereinander Konflikte häufig so offen, wie in keiner anderen Beziehung aus. Das Zusammenwirken von Eltern und Kindern, Schwestern und Brüdern, Cousins und Cousinen im gemeinsamen Unternehmen stellt hohe Anforderungen an alle Beteiligten und kann äußerst mühsam sein, da die im Unternehmen handelnden Angehörigen immer zugleich auch Mitglied im Familiensystem und/oder Gesellschafter sind. Es treten Spannungen auf, die als diffus, verworren und paradox wahrgenommen werden können.
Die Spannung zwischen den Polen „familiär gerecht“ und „unternehmerisch richtig“ beeinflusst die Zusammenarbeit wesentlich. Gerechtigkeit nach den Regeln des Familienystems beruht auf der Erwartung, dass alle gleich und dadurch gerecht behandelt werden. Im Unternehmen gilt die Regel des Leistungsprinzips und die Erwartung, dass dieses entsprechend gerecht entlohnt wird.
Es ist unmöglich, sich an alle Regeln der verschiedenen Systeme gleichzeitig zu halten. Ebenso kann man diese Regeln nicht auflösen. Für alle Beteiligten, auch für die Mitarbeiter, kann es kräftezehrend sein, wenn unklar ist, welche Regeln gelten und welche Erwartungen dadurch an die Handelnden gestellt werden. Gleichzeitig zu allen Systemen dazu zu gehören, kann einer Person den Eindruck vermitteln, sich „falsch“ zu verhalten, was immer sie tut. Da das Unternehmen und schon gar nicht die Familie einfach verlassen werden können, entsteht eine Paradoxie, die nicht auflösbar ist. Man ist gleichzeitigen Erwartungen ausgesetzt, die sich gegenseitig ausschließen, sich wider-sprechen. Die Beteiligten fühlen sich einer unausweichlichen Dynamik ausgesetzt, die Kommunikationsstörungen, Konflikte und Schuldzuweisungen hervorbringt. Vernünftige Entscheidungen werden unmöglich. Lösungen, die gesucht werden, entsprechen meist der Logik „Entweder-Oder“, nämlich der Entscheidung zwischen Familie und Unternehmen. Meist wird sich dann dafür entschieden, dass das Unternehmen vor geht und erst bei der Umsetzung wird deutlich, dass diese Entscheidung die Situation eher noch verschlimmert, da sie die Bedürfnisse der Familie nicht berücksichtigt.
Was sind typische Anlässe für Mitglieder einer Unternehmerfamilie, einen Coach zu beauftragen?
Ich gebe ein Beispiel: Der Unternehmensnachfolger eines Handelshauses leitete zehn Jahre lang als Geschäftsführer die GmbH in dritter Generation. Seine Schwester war ebenfalls lange Jahre im Geschäft und nach einer Erziehungspause angestellte Vertriebsleiterin. Sie strebte in die Geschäftsführung und wollte nun gemeinsam mit ihrem Bruder das Unternehmen leiten. Der Bruder aber lehnte dies kategorisch und vehement ab.
Der Unternehmer wendet sich an mich, nachdem in einem Meeting zur zukünftigen Vertriebsstrategie im Beisein des Marketingleiters ein massiver Streit zwischen ihm und seiner Schwester entbrannt war. Am Ende verließ sie die Besprechung weinend und er polterte wutentbrannt und Türen schmeißend durchs Unternehmen. Mit dem Ergebnis, dass ein Gespräch unmöglich geworden war.
Dies ist ein typischer Anlass, um externe Beratung hinzuzuziehen. Neben klassischen Unternehmensberatern einerseits und Familientherapeuten andererseits findet Coaching als Beratungsform immer mehr Aufmerksamkeit, da es die rationalen und sachlichen Faktoren mit den emotionalen und familiären Faktoren verbindet. Denn der isolierte Blick auf das Unternehmen durch einen Unternehmensberater reicht an dieser Stelle nicht aus. Ergebnis wäre die sachliche Analyse der Tätigkeit der Vertriebsleiterin und ihrer vertraglichen Einbindung ins Unternehmen, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zur Familie als Schwester und Miterbin. Und der losgelöste Blick auf die Familie durch einen Familienberater führte dazu, dass die Firma ein „blinder Fleck“ in der Beratung der Familienmitglieder bliebe.
Wer macht da üblicherweise den ersten Schritt?
In der Regel der, der den größten Veränderungswunsch spürt. Das waren bis vor zehn Jahren meist die Junioren. Heutzutage sind es in der Regel die 50- bis 55jährigen Unternehmer und Unternehmerinnen, die in einer Welt der Selbstreflexion und Selbstoptimierung leben und nicht nur sich selbst, sondern auch ihr Leben als Unternehmer/In und Unternehmerfamilie aktiv gestalten wollen.
Was macht das Coaching für Familienunternehmen und Unternehmer-familien so komplex?
Da ist zunächst einmal die Überschneidung der drei oben genannten Systeme, die den Beteiligten ihre Situation als diffus erscheinen lässt. Darum sehen sich die Personen, die Unterstützung suchen, oftmals in der Situation, den diversen Anforderungen und Erwartungen nicht gerecht zu werden und wünschen sich idealerweise eine Instanz, die ihnen Entscheidungen abnimmt und die schwierige Situation auflöst. Die Aufgabe des Coaches ist es niemals, Lösungen aus vermeintlicher Expertensicht anzubieten, sondern sich auf die „Geschichten“ der Kunden einzulassen. Erstes Coachingziel ist es, dass die Familienangehörigen einander und ihre Situation besser verstehen. Denn Verständnis führt zu neuen Lösungen.
Worin siehst Du die Vorteile des systemischen Ansatzes bei dieser Arbeit?
Familie, Unternehmen und Eigentum gehören im Familienunternehmen untrennbar zusammen. Die Aufgabe des Coaches ist es, Zugang zu allen Systemen herzustellen, indem er offen ist für alle Aspekte und nicht den einen den anderen vorzieht. Nur selten wird ein Auftrag konkret und sauber formu-liert, weil die Situation den Beteiligten verworren und chaotisch erscheint. Ein wesentlicher Teil des Coachings besteht daher darin, die Fäden zu entwirren, um den Kunden einen neuen Blick auf ihre Situation zu ermöglichen. Denn daraus entstehen neue Wege, Lösungen und Entscheidungen.
Mit welchen Prämissen/Methoden arbeitest Du, wenn Du Unternehmer coachst?
Ich führe Lösungsorientierung ein.
Im genannten Beispiel wurde schon im ersten Geschwister-Coaching deutlich, dass Bruder und Schwester grundlegend verschiedene Geschichten über die Entstehung der heutigen Unternehmensstruktur zu berichten haben. Die verschiedenen Erwartungen und Wünsche werden erkennbar. Wir wechselten von der Problemsicht hin zur Lösungsorientierung. Der Blick dadurch wird weg von der schwierigen Kommunikation hin zu dem gelenkt, was gut geht im Unternehmen und in der Familie. Dies schafft Erleichterung und es eröffnet die Sicht auf Gemeinsamkeiten. Die Geschwister erkannten im Bruder den Bruder und in der Schwester die Schwester und beginnen, nicht den Feind und Schuldigen für die Situation zu sehen.
Ich stelle Selbstreferenz her.
Sich selbst besser verstehen zu lernen ist ein heilender Schritt im Coaching. Die Verwirrung über die paradoxen Erwartungen führt auch dazu, dass man seiner eigenen Wahrnehmung nicht vertraut. Zur Selbstreferenz gehört es auch, eigene Wünsche, Erwartungen, Ängste und Befürchtungen zu ergründen.
Im biographiefokussierten Einzelcoaching mit der Schwester geschah eine Veränderung durch die Erkenntnis, dass sie schon als Kind heimlich neidisch auf ihren Bruder war, dem die Unternehmensleitung zugesprochen worden war. Im Einzelcoaching mit dem Bruder arbeiteten wir heraus, welch enge Perspektive dieser auf das Unternehmen hat und was den Blick darauf ver-stellt, sich eine gemeinsame Geschäftsleitung mit seiner Schwester nur auszumalen.
Ich arbeite an einer veränderten Wahrnehmung.
Die Bewusstmachung, dass jeder Mensch seine eigene Wahrnehmung hat, eröffnet gerade im engen System der Unternehmerfamilie (das Unternehmen gehört zur Familie und umgekehrt) einen nächsten Erkenntnisschritt. Denn die Sicherheit des Unternehmens ist oftmals nur ein äußerliches Phänomen, das nicht den Gefühlswelten der Individuen entsprechen muss.
Im Geschwistercoaching trafen der Neid der Schwester und die arglose Selbstverständlichkeit des Erstgeborenen aufeinander. In einem entschleunigten Dialog lernten beide, einander besser zu verstehen.
Ich schaffe Rollenbewusstsein.
Die Erkenntnis, dass die Kommunikation in Familienunternehmen generell anspruchsvoll ist und die Widersprüche ausgehalten werden müssen, führt zu einem neuen Rollenbewusstsein. Spreche ich als Schwester mit dem Bruder oder als Vertriebsleiterin mit dem Geschäftsführer? Oder gar als Schwester mit dem Geschäftsführer? Hilfreich ist es, deutlich zu machen, aus welcher Rolle heraus gerade agiert wird. In einem Dialog mit verschiedenen Stühlen für die verschiedenen Rollen wurde den Geschwistern deutlich, wie sehr sie im Alltag ihre Rollen vermischen und dadurch echte Kommunikation verhindern.
Wir erarbeiten Ressourcen.
Der Blick auf die Ressourcen im System schafft noch mehr Raum für kreative Lösungsarbeit. Den Geschwistern wurde deutlich, dass ihnen das Konkurrenzprinzip nicht weiterhilft, sondern die Tatsache, dass beide Stärken besitzen, die sich ergänzen.
Und ich mache Betroffene zu Beteiligten.
In der Familie gilt der Gleichheitsgrundsatz. Wird dieser im Unternehmen gebrochen, werden Beteiligte zu Betroffenen. Das gemeinsame Erarbeiten einer Familiencharta mit Werten, Zielen und Regeln für die Zusammenarbeit und die Zukunft sind daher aus Familiensicht „logische“ Instrumente für das gemeinsame Wirken im Unternehmen.
In der letzten Phase des Coachings erarbeiteten die Geschwister gemeinsam mit ihren Cousins (Erben des anderen Familienzweigs) eine Familiencharta und legten einvernehmlich fest, dass das Unternehmen heute und in der folgenden Generation nur durch einen einzelnen Familienangehörigen geführt werden soll. Die Schwester blieb im Unternehmen und akzeptierte ihre Rolle als Vertriebsleiterin neben ihrem Bruder als Geschäftsführer. Die Weichen für die Zusammenarbeit wurden neu gestellt.